marilyn manson Titel

"Mechanical Animals"





„Weshalb geht sie nur in dieses Zimmer, wo sie doch ahnt, daß sich genau dort der psychotische Mörder verbirgt?“ Diese Frage stellt man sich bei jedem Thriller, den man als Zuschauer konsumiert. Die Antwort stellt sich als einfach und einleuchtend heraus: Der Streifen wäre langweilig, würde sie nicht den Raum betreten, in welchem eindeutig das Unheil lauert.  
Nachdem sich der letzte Alptraum aus dem Hause Marilyn Manson, „Antichrist Superstar“, vor zwei Jahren erstaunlich gut verkauft hatte, kündigte die Band um Brian Warner einen radikalen Imagewechsel an, der sich optisch und akustisch manifestieren sollte, während sich das musikalische Kind von Trent Reznor mit diesem Schritt endgültig aus dem Schatten des Großmeisters erheben wollte. In Interviews wurde häufig davon gesprochen, daß die Band sich nicht mehr ausschließlich auf die schockierenden Auftritte und die grotesken Texte festlegen lassen wollte. Dreiundzwanzig Monate nach dem Erscheinen der letzten Scheibe steht nun „Mechanical Animals“ in den Regalen, und überrascht den Käufer tatsächlich, da die Veränderungen radikaler nicht sein könnten. Aus dem bizarren Schreckgespenst ist eine Art androgyne Schaufensterpuppe geworden, grell leuchten die Farben, wo bei den bisherigen Produktionen dunkle Schattierungen eine düstere Welt darzustellen vermochten, die schwarzen Spaghettihaare Mansons sind einer knallroten Trendfrisur zum Opfer gefallen und die Bilder des Beiheftes scheinen aus einem anderen Jahrzehnt zu stammen, als David Bowie sich Ziggy Stardust nannte und Kiss noch die Sorgenpalette verwirrter Eltern anführten. Der erste Durchlauf der „mechanischen Tiere“ läßt dann dieses seltsame Gefühl der Verwirrtheit nicht geringer werden, da die Lieder keineswegs vertraut klingen und nicht einen Moment die schwere, aggressive Stimmung von „Antichrist Superstar“ aufkommen lassen wollen. Hatte Manson damals in kryptischen Versen seine Transformation vom kleinen Brian Warner hin zum gefühllosen Rockstar beschrieben, soll nun in vierzehn Kapiteln der Zustand beschrieben werden, in welchem sich das Kunstprodukt „Marilyn Manson“ nach der Erhebung zu einer Art Übermenschen im Sinne Nietzsches befunden hatte, als es wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkehrte und dadurch wieder menschlich wurde.  
Vom musikalischen Standpunkt her betrachtet, ist „Mechanical Animals“ sehr gitarrenlastig ausgefallen und weniger technoid als die vorangegangenen Werke. „Rock Is Dead“ verkündet Manson in einem der neuen Songs, obwohl er mit dieser Scheibe deutlich zeigen will, daß man auch zur Jahrtausendwende den Rock ‚N Roll aus dem Grab erheben kann. An vielen Stellen wird der Hörer daher deutlich an die Musik der vergangenen drei Jahrzehnte erinnert, wobei vor allem der naiver Scham der Achtziger dominant ist und an vielen Stellen durchbricht, wenn Mansons Stimme durch den berühmten Vocoder verzerrt wird, der schon bei Pink Floyd oder Alan Parsons für Kurzweil sorgte. Überhaupt lassen viele Stellen Klassiker der Rockmusik im Kopf zu neuem Leben erwachen, wenn beispielsweise die Akustikgitarre in „Mechanical Animals“ wie jene in „Space Oddity“ von David Bowie klingt oder „I Don’t Like The Drugs (But The Drugs Like Me)“, der humoristische Höhepunkt des Albums, ganz starke Assoziationen zu „Fame“ wecken, welches der Feder desselben Heroen der Siebziger entsprang. In „The Speed Of Pain“ singen dann mit einem Mal Background-Sängerinnen (die hauptberuflich ihre Hüften in Porno-Filmen kreisen lassen) der trockenen Stimme Mansons entgegen, und „Fundamentally Loathsome“ kreiert gar eine neue Musikrichtung, die man als „Industrieblues“ bezeichnen könnte. Generell sollte bemerkt werden, daß viel häufiger als bisher die leisen Töne die lauten Passagen durchbrechen, wobei „Disassociative“, „The Last Day On Earth“ oder „Coma White“ schon als „Manson für die Kuschelstunde“ bezeichnet werden könnten, wenn nicht irgendwo im Hintergrund das Gefühl der Einsamkeit und der Angst mitschwingen würde, was immer noch hauptsächlich in den Texten Fuß faßt. Die harschen Elemente und die Aufschreie der vergangenen Jahre sind auf ein Minimum reduziert worden, was jedoch nicht heißen soll, daß diese „poppigeren“ Lieder kraftlos wären. Zumal der Musik einige neuartige Elemente hinzugefügt wurden, die sie abwechslungsreicher gestaltet erscheinen läßt. 
Die Texte sind weiterhin sehr wichtig, auch wenn sie dieses Mal schneller zum Punkt kommen, und der Gebrauch von Metaphern deutlich eingeschränkt wurde. So ist „The Dope Show“ eine satirische Abrechnung mit den Medien und ihrem Umgang mit der Band („They love you when you're on all the covers. When you're not then they love another.“), „I Want To Dissapear“ beschreibt hingegen sehr gut Mansons aktuellen Standpunkt („Look at me now, got no religion. Look at me now, I'm so vacant. Look at me now, I was a virgin. Look at me now, grew up to be a whore. And I want it, I believe it, I'm a million different things and not one you know.“), und „New Model No.15“ zeigt uns, wie man sich zu benehmen hat („I'm as fake as a wedding cake and I'm Vague and I know that I'm Homopolitan. Pitifully predictable correctly political. I'm the new, I'm the new, new model, I've got nothing inside. Better in the head and in bed at the office, I can suck and I smile.“). 
„Mechanical Animals“ ist für alteingesessene Anhänger der Band sicherlich ein Brocken, der lange und schwer im Magen liegt, bevor er vollständig verdaut werden kann. Dennoch fressen sich die Melodien langsam in das Hirn ein, auch wenn sie nicht so erstickend auf die Atemwege wirken wie die vielschichtigen Verschrobenheiten von „Antichrist Superstar“. Diese Platte macht vielleicht nicht so süchtig wie ihr Vorgänger, den man aufgrund seiner Detailliebe bei jedem Hören neu erkunden konnte, und die Grundstimmung ist bei weitem nicht so intensiv, aber dennoch ist diese Veröffentlichung imposant und auf jeden Fall hörenswert. Zudem werden auch diejenigen auf ihre Kosten kommen, die schon immer geheime Botschaften von Seiten Mansons befürchtet haben: Betrachtet man nämlich das Booklet durch die (in eine türkisblaue gehaltene) Plastikhülle, werden Texte sichtbar, die mit bloßem Auge nicht zu lesen sind. In den Heimcomputer geschoben, offenbart die CD zusätzlich einen kleinen Multi-Media-Exkurs, der allerdings ausführlicher hätte gestaltet sein können.  
Weshalb nun haben Marilyn Manson nicht noch einmal ein Album in der Tradition von „Antichrist Superstar“ aufgenommen, wo es doch die Anhängerschaft der Band vollkommen zufrieden gestellt hatte und als kleines Meisterwerk gehandelt wurde? Richtig – wegen dem Psychopathen in der Dunkelheit. 

Von Michael Kaiser

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