[veröffentlicht
im "zillo" 12/96]
Es war
verdammt kalt draußen, als ich mir das neue Machwerk der
amerikanischen Band Marilyn Manson zum ersten Mal
anhörte. Doch wenigstens in meinem kleinen Zimmer war es
angenehm warm. Marilyn Manson sind sicherlich seit ihrem
erstem Album "Portrait Of An American Family"
eine herausragende Band, die mehr zu schocken weiß als
vor vielen Jahren ein Alice Cooper und Weggefährten.
Jedoch haben die Mannen um Reverend Manson durchaus einen
Anspruch, den nicht jeder, der diese abartigen Pfade der
Musik einschlägt, für sich verbuchen kann: Die
hintergründigen und oft ironischen Texte, die nur allzu
oft falsch ausgelegt werden. Doch Marilyn Manson machen
Musik, welche die Welt so zeigt, wie sie ist. Nur durch
die Überzeichnung und Groteske läßt sich die heutige
Gesellschaft noch darstellen und hier gelingt das sehr
gut und unheimlich eindringlich, da man sich nach dem
Genuß der Scheiben tatsächlich vor sich selber
fürchten kann. Vor dem Menschen an sich!
"Antichrist Superstar" ist wieder von Nine Inch
Nail Trent Reznor produziert (wie auch das 95er
Erfolgsalbum "Smells Like Children", das
Coverversionen und Remixe enthielt) und überrascht mit
99 Titeln (wie schon Reznors "Broken"-EP von
1992), von denen 16 eindrucksvolle Musik bieten, die man
nicht vergessen kann. Die Texte sind apokalyptisch,
teilweise kritisch ("1996", "Beautiful
People"), manchmal fürchterlich abstoßend
("Cryptorchid") oder ironisch ("Mister
Superstar"). Dabei werden sie von Musik begleitet,
die mal wütend, mal laut, mal leise, doch immer
überzeugend und abwechslungsreich und noch eine Spur
extremer und elektronischer als auf den vorherigen
Veröffentlichungen ist. Ein besonderes Augenmerk sei
auch auf die Textbeilage zu richten, die mit Bildern
aufwartet, die nachts in Alpträumen wiederkehren
können. Der letzte Titel, "Man That You Fear",
ist wohl die erstaunlichste Überraschung am neuen Album.
Hier scheint sogar Mansons wirkliches Ich bemerkbar zu
werden, das sogar Verletzlichkeit und Angst kennt. Es ist
ein Lied voller Verzweiflung und Entsetzen, ein Lied
eines Mannes, der in seiner Kindheit sicherlich Dinge
erlebt hat, die ihn zu dem machten, was er heute ist: Das
personifizierte Amerika. Nachdem die (über 70 Minuten
dauernde) CD ihre letzten Töne von sich gegeben hatte,
war es in meinem Zimmer gar nicht mehr mollig warm. Auch
in meinem Herzen war es etwas frostiger geworden. In der
Nacht schlief ich nicht sehr gut...
Von Michael Kaiser
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